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Diversifikation ist für Unwissende

Nehmen wir den US-Aktienmarkt am Beispiel des DowJones Industrial, also den Index, der die 30 wichtigsten Aktien der USA verfolgt. Jemand, der sich mit diesem Index beschäftigt und tatsächlich mit Aktienanlagen auskennt, hätte über die letzten 20 Jahre zu Beginn jedes Jahres in eine einzige Aktie investiert. Nämlich die, die dann über jenes Jahr die höchste Rendite geboten hätte. Über die letzten 20 Jahre wären das die folgenden Aktien:

Die jährliche Wachstumsrate (CAGR), die sich so ergibt beträgt 73,5% und das kumulierte Wachstum 6.051.779%. Aus einem Investment von USD 1.000 im Jahr 2000 wären mit Ende 2019 etwas mehr als 60 Millionen USD geworden1Inklusive der Dot-Com-Blase und der Finanzkrise!. Eine graphische Darstellung gibt es hierfür auch (selbstverständlich mit logarithmischer Skalierung):

So hätte also ein Fondsmanager investiert, der seine Sache wirklich versteht. Übrigens ein eher wenig ambitionierter Fondsmanager, der nur ein einziges Mal pro Jahr aktiv wird. Er beschäftigt sich jedenfalls nicht mit Branchen, Sektoren, Gewichtungen, Umschichtungen, Vermögensklassen/Asset Allocation und all den anderen Expertendomänen. All das ist nämlich nur dann notwendig, wenn man sich eben nicht wirklich auskennt.

Nun ist es natürlich so, dass sich in diesem Bereich kein Mensch jemals so gut auskennen kann (im Gegensatz, etwa, zu den Naturwissenschaften; Ingenieure wissen mittlerweile ziemlich genau, wie man ein stabiles Haus baut und Chirurgen haben Blinddarmoperationen ziemlich gut im Griff). Es ist also vernünftig, Raum für Entwicklungen zu schaffen, die unmöglich vorhersehbar sind. Das tut man in diesem Fall, indem man nicht alleine in die Aktie investiert, die sich, aufgrund von Analysen, als die beste herausgestellt hat, sondern auch in die zweit-, dritt- und womöglich zehntbeste Aktie. Man gibt also bewusst die Möglichkeit auf, das beste Ergebnis zu erzielen, weil man weiß, dass man die Situation nicht vollkommen im Griff haben kann. Mit jeder zusätzlichen Aktie, also höherer Diversifikation, entfernt man sich jedenfalls vom bestmöglichen Ergebnis.

Die Finanzindustrie hat es mit ihrem virtuosen spinning und framing geschafft, Diversifikation als Gütesiegel der eigenen Kompetenz zu platzieren. Da noch ein bisschen Pharma, dort etwas Internet of Things, nicht zu vergessen ein bisschen Immobilien und vielleicht darf Gold auch dabei sein. Je breiter die Vermögensklassen gefächert und je detaillierter innerhalb der Vermögensklassen, desto kompetenter der Vermögensverwalter. Was dabei vergessen wird:

Diversifikation ist ein „bug“, kein „feature“.

Es ist nicht so, dass der Vermögensverwalter so besonders kompetent ist, weil er diese lästige Unsicherheit der Kapitalmärkte mit besonders breiter und komplexer Diversifikation in den Griff bekommt. Es ist vielmehr so, dass der Vermögensverwalter nicht kompetent genug ist, und die Vernunft ihn zwingt zu diversifizieren. Und je breiter die Diversifikation, desto geringer seine Kompetenz.

Ein kompetenter Portfolioverwalter, der auch vernünftig ist, wird also nicht jedes Jahr in eine einzige Aktie investieren, aber man darf von ihm schon erwarten, dass er regelmäßig – am Beispiel des DowJones Industrial – die jeweils 20 besten der insgesamt 30 Aktien finden – oder umgekehrt: die 10 schlechtesten herausfiltern – kann (20 Titel ist in etwa auch die Anzahl an Titeln, die für jedes Finanzvermögen – zumindest, solange es ein paar Milliarden Euro nicht übersteigt –  vernünftig ist. Viel weniger wäre zu riskant, viel mehr zu, nun ja, inkompetent). So ein Portfolioverwalter hätte über die letzten 20 Jahre hinweg eine jährliche Wachstumsrate von etwa 21,5% erzielt, bzw. das eingesetzte Kapital verfünfzigfacht (+4.911%). Kein Vergleich zu den 73,5% von vorher, aber immerhin. Übrigens so ungefähr die jährliche Rendite, die Warren Buffett erzielt(e).

Also auf, um die Buffetts dieser Welt zu finden? Nicht ganz. Es ist nämlich so, dass es nicht viele „Buffetts“ gibt2Langfristig schaffen es weniger als 5% aller relevanten Fonds, eine bessere Rendite zu erzielen, als der Index selbst. Vergleiche hierzu z.B. den Morningstar Fondsbarometer vom 24.4.2020; „Aktiv verwaltete Rentenfonds werden von der Corona-Welle mitgerissen“; Ali Masarwah;.. Die Wahrscheinlichkeit auf eine vergleichbare Portfoliomanagerin zu treffen, ist praktisch Null. Aber nicht nur das:

Sollten Sie (oder der Experte ihres Vertrauens) auf sie treffen, so müssten Sie/ihr Experte sie auch erkennen. Und zwar nicht, wenn solche Portfoliomanger schon 30-40 Jahre erfolgreich waren, und ihre Kompetenz praktisch erwiesen ist, sondern viel früher (Was gar nicht so einfach ist, denn um eine Strategie beurteilen zu können, müssen sie diese auch verstehen. Verstehen können sie aber nur etwas, das sie auch selbst erschaffen können3“What I cannot create, I do not understand.” _Richard Feynman). Aus dem einfachen Grund, da jeder Buffett nach einiger Zeit vor dem Problem stehen wird, mit dem der wirkliche Buffett seit einiger Zeit kämpft: Größe. Verwaltet man, wie Buffett, 600 Milliarden USD, so ist das Universum der Unternehmen, in die man investieren kann, stark eingeschränkt. Nämlich auf jene, in die man jeweils mindestens 30 Milliarden investieren kann. (der größte DAX-Wert, SAP, hat eine Marktkapitalisierung von etwa 150 Mrd. Euro; Coca-Cola, in etwa der Median im DowJones Industrial, kommt auf eine ähnliche Bewertung). Buffett kann meistens gar nicht in das beste Unternehmen investieren, auch wenn er weiß, welches es ist. Er muss sich allein aufgrund seiner Größe mit dem zweit-, zehnt- oder gar fünfzigbesten begnügen, auch wenn er genau weiß, welches das Beste ist. Die von ihm erzielte Rendite unterscheidet sich die letzten 10 Jahre nicht merklich von jener des S&P 500. Die Jahrzehnte davor war sie regelmäßig viermal höher als jene des S&P 500.

Vermögensverwalter haben da noch viel größere Probleme. Nicht nur, dass ein Portfolioverwalter mit den Kompetenzen eines Warren Buffet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für einen Vermögensverwalter arbeiten wird; die größten unter ihnen in Europa  verwalten 500 Mrd. und mehr (amundi, der größte in Europa, verwaltet über 1.500 Mrd.), und stehen – theoretisch – vor dem gleichen Problem wie Buffet. Theoretisch deshalb, weil diese Verwalter in der Praxis gar nicht zum Ziel haben, die bestmögliche Rendite zu erzielen. Aber das ist eine andere Geschichte. Tatsache ist, dass sie es gar nicht könnten, auch wenn sie es wollten. Vertraut man sich einem dieser renommierten Verwalter an, so kann man sich zwar irgendwie sicher sein, dass man nicht die schlechteste Anlagelösung erhalten wird. Gleichzeitig kann man sich sicher sein, dass man von der besten Anlagelösung sehr weit entfernt ist.

Also was tun? Zu allererst erkennen, dass das Erzielen von überdurchschnittlichen Renditen wirklich, wirklich schwierig ist. All die Menschen, die diese minimale Outperformance erzielen sind durchaus fähig und besonders engagiert. Sie verfügen über immense Ressourcen und beschäftigen sich über Jahrzehnte täglich intensiv mit dem Thema.

Es kann auch nicht schaden, sich das Wesen und die Funktion von Diversifikation bei der Kapitalmarktanlage nochmal zu überlegen, bzw. besser zu verstehen. Um dann zu entscheiden, ob man (a) sich bzw. seinem Berater eine vernünftige aktive Portfolioverwaltung zutraut, bzw. zutrauen will. Ein wesentliches Merkmal einer solchen aktiven Portfolioverwaltung ist jedenfalls die hohe Konzentration auf wenige Titel. Oder ob man sich (b) eingesteht, dass man das weder selbst kann, noch einen entsprechend kompetenten Portfolioverwalter finden kann. In diesem Fall wird man nicht ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger, etwas da und etwas dort diversifizieren, sondern, agnostisch, zu 100%. Alles dazwischen ist schwer zu argumentieren.

Ich würde lügen, sagte ich, dass Variante (a) nicht die interessanteste, vielseitigste und lehrreichste Tätigkeit ist, die ich kenne. Ein lebensfüllendes Abenteuer. Aber die Sache ist die: Bei Variante (a) muss sich ein Anleger über 10 Jahre hinweg mindestens 10 Stunden am Tag mit dem Thema beschäftigen, um dann zukünftig mit geringer Wahrscheinlichkeit eine Rendite von mehr als 15% p.a. zu erwirtschaften. Bei Variante (b) muss sich ein Anleger höchstens 10 Stunden im Jahr mit dem Thema beschäftigen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rendite von 5% p.a. zu erwirtschaften. Für die allermeisten Privatanleger (auch die größten unter ihnen) ist Variante (b) wohl die vernünftigere.

Also doch nur ein einziger Titel. Aber nicht jedes Jahr eine einzelne Aktie, sondern über möglichst viele Jahre hinweg ein Indexfonds, bzw. ETF, der zu möglichst geringen Kosten die weltweiten Aktienmärkte möglichst umfassend abbildet.

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