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Für wen eigentlich?


Anfänglich hätten mir diese Seiten helfen sollen, meine eigenen Gedanken zu ordnen und zu präzisieren. Indem ich mich zwinge meine Gedanken in eine Form zu fassen, die für jeden verständlich ist, werden sie klarer und nicht selten entdecke ich dabei Lücken oder Perspektiven, die ich bis dahin übersehen hatte. Herausgekommen ist etwas, das vielleicht auch für andere Menschen nützlich ist. Etwas, das sie ermutigt, ihren eigenen Verstand einzusetzen. Ich habe keine konkrete Zielgruppe vor Augen, aber folgende Personengruppen könnten Interesse haben:

Zuerst ist es jene Gruppe, die mir besonders am Herzen liegt. Personen, die sich überhaupt nicht für Kapitalmärkte interessieren, weil sie denken, dass das Thema spröde ist. Oder weil sie der Ansicht sind, dass Kapitalmärkte nur eine andere Form von Kasinos sind. Für leichtsinnige Menschen, die über kurz oder lang ihr Geld verspielen. Denn gewinnen kann ohnehin nur die „Bank“, beziehungsweise jene Insider, die diese Kasinos betreiben. Ich bin überzeugt, dass diese Personen ein vollkommen falsches Bild haben. Genauso, wie man kein Mediziner sein muss um zu wissen, wie man gesund lebt, braucht man kein Experte sein, um erfolgreich zu investieren. Das Börsengeschehen täglich verfolgen braucht man schon gar nicht, ganz im Gegenteil. Die Themen, die für eine sinnvolle Beschäftigung mit Kapitalmärkten wichtig sind, sind alles andere als spröde und sie sind außerdem für die unterschiedlichsten Lebenssituationen ausgesprochen bereichernd.

Dieses falsche Bild kann nicht überraschen, es ja ist das einzige, das regelmäßig vermittelt wird. Aber es dient ausschließlich der Finanzindustrie, nicht dem Anleger. Es zeugt eigentlich von Vernunft, wenn man damit nichts zu tun haben will. Und es dürfte auch der Grund dafür sein, dass sich fast ausschließlich Männer mit Kapitalmärkten beschäftigen. Nicht, weil sie das richtigere Bild haben, sondern weil Männer eher dazu tendieren sich selbst zu überschätzen. Ich habe immer schon bedauert, dass sich viel zu wenige Frauen das Thema genauer ansehen– sowohl beruflich, als auch privat. Ziel soll nicht sein, seine eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen. Aber es ist, im Gegensatz zur Überschätzung, ein gigantischer Vorteil, wenn es um Erfolg an den Kapitalmärkten geht.

Es ist auch der eine Grund, warum mir diese Personengruppe besonders am Herzen liegt. Der andere Grund ist der, dass sie hinsichtlich der Kapitalanlage ein unbeschriebenes Blatt ist. Hat man sich einmal ein Bild von einem Thema erarbeitet, also Zeit und Energie investiert, so ist es viel schwieriger diese Bild wieder zu verwerfen. Die Zeit wäre jedenfalls reif, dass Menschen den Leitspruch der Aufklärung auch bei der Verwaltung ihres Vermögens anwenden: “Die Hälfte der Tat hat geleistet, wer begonnen hat; wage dich deines eigenen Verstandes zu bedienenfang an!”

Heute ist der beste Zeitpunkt, um damit zu beginnen. Denn eines ist sicher: Zeit ist die eindeutig mächtigste Waffe des Privatanlegers.

Die zweite Gruppe umfasst jene Personen, die meistens eine Spur zu unbefangen handeln. Sie sind sich bewusst, dass ihr Vermögen einen wertvollen Teil ihres Lebens darstellt, und dass man sich angemessen darum kümmern muss. Sie sind sich auch bewusst, dass höhere Erträge immer auch mit höheren Risiken verbunden sind und sind bereit solche Risiken einzugehen. Wie in anderen Lebensbereichen sehen sie auch hier ihre Hauptverantwortung darin, den besten Experten zu finden. Sie verlassen sich auch hier auf bewährte Heuristiken. Oft sind es Empfehlungen von Vertrauenspersonen, denen sie entsprechende Kompetenzen beimessen, nicht selten einfach das Image des Anbieters.

Sie übersehen dabei aber zwei wichtige Tatsachen: Erstens, dass Experten, wie es sie in anderen wichtigen Lebensbereichen gibt, hier nicht existieren. Die vermeintliche Expertise kann sich nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Gesetze stützen, weil es solche einfach nicht gibt. Dementsprechend gibt es auch keine allgemein anerkannte Verfahrensstandards und Richtlinien, nach denen sich Anbieter richten müssen und aufgrund welcher sie zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Wenn ein Arzt einem Patienten ein Abführmittel verschreibt, obwohl dieser an einer Blinddarmentzündung leidet, bekommt dieser Arzt Probleme. In der Vermögensverwaltung sind die Dinge nicht so klar. Weil es eben keine entsprechend ausgereifte Forschung und Erfahrung gibt. Anbieter können sich beliebige Kompetenzen und Fähigkeiten auf die Fahne schreiben und nach Belieben Strategien und Taktiken empfehlen, ohne diese objektiv und nachvollziehbar rechtfertigen zu müssen. Vorausgesetzt, sie fügen dem Kunden keinen nachweisbaren Schaden zu.

Die zweite Tatsache betrifft die geschickte Nutzung des “Halo-Effekts”2Halo-Effekt: …eine aus der Sozialpsychologie bekannte kognitive Verzerrung, die darin besteht, von bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte Eigenschaften zu schließen. Man kann bei Wirtschaftstreibenden grob zwischen Beratern und Verkäufern unterscheiden. Jene, die gegenüber der Allgemeinheit aufgrund ihres speziellen Wissens, sowie ihren Erfahrungen und Fähigkeiten einen Vorteil besitzen. Es wird erwartet, dass sie diesen Vorteil im Interesse des Kunden einsetzten und jedenfalls nicht, um Schwächen der Kunden auszunutzen. Mediziner, Juristen, Ingenieure, etc., aber auch Handwerker, wie Schreiner oder Friseure – wenn auch nicht im gleichen Ausmaß (weil nicht so kritisch). Sie gewährleisten Qualität, indem sie sich selbst Mindeststandards bezüglich Ausbildung, Verfahren und Verhalten auferlegen. Ziel ist in der Regel nicht, den Mindeststandard nicht zu unterschreiten, sondern sich von diesem möglichst abzuheben. Sie handeln im Bewusstsein, dass ihre Leistung Menschen zumindest einen objektiven Nutzen bringen soll.

Niemand erwartet von Verkäufern, dass sie primär im Interesse der Kunden handeln. Jeder weiß, dass ihr Ziel der Profit ist, dass sie alles tun, um diesen zu erhöhen und dabei natürlich versuchen werden, Schwächen der Kunden auszunutzen. Während vom Gesetzgeber Mindeststandards auferlegt werden, um ihr Profitstreben in Zaum zu halten, versuchen die Betroffene den so vorgegebenen Rahmen möglichst auszureizen. Ihre Leistung soll Menschen zumindest keinen objektive Schaden zufügen.

Die Finanzindustrie hat es geschafft, sich als Berater zu präsentieren, aber als Verkäufer zu agieren. Sie genießt die Aura der Experten und Berater und kultiviert das entsprechende Bild, das bei Menschen noch immer tief verwurzelt ist. Sie erhält zu Recht wertvolles Vertrauen von Kunden, weil sie Vermögen sicher aufbewahrt und verlässlich transferiert. Problematisch ist, dass Kunden dieses Vertrauen auf alle anderen Angebote der Finanzindustrie übertragen, insbesondere auf jene, bei denen sie sich nicht auskennen. Sie besitzen keine andere Möglichkeit solche Angebote zu beurteilen. Problematisch deshalb, weil die Finanzindustrie in letzter Konsequenz aber dann doch darauf besteht, dass sie natürlich ein gewinnorientierter Geschäftszweig ist, der primär seinen Eigentümern verpflichtet ist. Dass ihre Verpflichtung gegenüber Kunden nicht größer sein kann, als jene eines Fahrradhändlers. Natürlich wird sie Kunden nicht das für sie beste Produkt anbieten, sondern jenes, das ihr den höchsten Profit verspricht.

Bezeichnend ist, dass die Leistung der Vermögensverwalter nicht etwa von wissenschaftlichen Kommissionen geprüft und bewertet wird, wie dies bei Medizinern oder Juristen der Fall ist. Oder von Innungen, wie bei Handwerkern. Es gibt auch keine staatlich geprüften Anlageberater, wie es etwa bei Schilehrern der Fall ist. In der Finanzbranche ist, neben diversen Branchenzeitschriften, die unabhängigste Instanz der Konsumentenschutz. Das sollte eigentlich alles klar machen. Vermögensverwaltung und Finanzinstrumente werden als Konsumgüter angesehen und Konsumenten müssen unter Umständen vor ihnen geschützt werden. Auch wenn ich dieser Sicht nicht zustimme: man könnte sich mit ihr arrangieren, wenn sich die Finanzindustrie eindeutig dazu bekennen würde.

Entscheidend ist, dass jeder Mensch dem “Halo-Effekt”, so wie jeder anderen kognitiven Verzerrung, hilflos ausgesetzt ist. Auch wenn man ihn kennt und versteht wie er funktioniert, wird er trotzdem unser Verhalten beeinflussen. Er kann mit bewusster Anstrengung und bestimmter “Tricks” zwar abgemildert, aber nie vollkommen eliminiert werden.

Was bedeutet das für den Kunden? Es gibt viele gute Gründe, warum er uneingeschränkt darauf vertrauen kann, dass seine Bank sein Vermögen sicher aufbewahren und Transaktionen absolut verlässlich abwickeln wird. Es gibt jedoch keinen plausiblen Grund, warum er dieses berechtigte Vertrauen auch dann beibehalten sollte, wenn es um irgendeine andere Leistung der Bank geht. Bei all diesen anderen Leistungen ist der Kunde Konsument und die Bank Verkäuferin. Dementsprechend ist hier eine skeptische und kritische Haltung genauso angebracht, wie bei allen anderen Konsumentscheidungen. Wenn nicht sogar in größerem Ausmaß, es geht schließlich um das persönliche Vermögen.

Die dritte Gruppe, schließlich, umfasst jene Personen, die sich mit Kapitalmärkten gut auskennen und schon umfassende Erfahrungen sammeln konnten. Vieles wird ihnen bekannt und bewusst sein. Aber vielleicht entdecken sie dennoch Perspektiven die sie bisher nicht, oder zumindest nicht so, kennen. Erfahrene Händler oder Investoren, die auch schon bemerkt haben, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die Geld verlieren: Jene die nichts wissen und jene, die alles wissen.


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