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3 Gründe für die festen Börsenkurse

Es war der 12. März 2020, als ich das erste Mal über die rasanten Kursverluste schrieb. Der S&P 500 hatte bis dahin in nur 17 Tagen mehr als 25% verloren. Nach nur sieben weiteren Handelstagen hatte er sein Tief bei knapp -34% erreicht. Heute (18.5.2020), zwei Monate später, ist das Minus auf 10% geschrumpft. Trotz des Verlusts einer Wirtschaftsleistung, der im Ausmaß mit jener der großen Depression in den 1930ern vergleichbar ist. Bewegungen von Börsenkursen können mich schon seit längerer Zeit nicht mehr überraschen, aber die Entwicklung der letzten Wochen haben das geändert. Habe ich da etwas übersehen, oder sind die Menschen jetzt vollkommen daneben? Also habe ich mir einige Gedanken gemacht, und habe, so wie zu erwarten, gesehen, dass es einige gute Gründe für diese Entwicklung gibt.

Die drei Wichtigsten:

  1. den fünf größten Unternehmen im S&P500 schadet die konkrete Krise nicht, im Gegenteil. Und diese Unternehmen sind sehr groß.
  2. Die Reaktionen der Regierungen und Notenbanken waren schnell und massiv. 2008 war im Vergleich dazu niedlich.
  3. Es ist ein Wahljahr in den USA. Kein amtierender Präsident will da fallende Kurse, schon gar nicht Trump.

Der Einfluss der größten Unternehmen

Informations- und Kommunikationstechnologien haben seit der Jahrtausendwende massive an Bedeutung gewonnen. Was sich auch in den Werten der entsprechenden Unternehmen ausdrückt. Früher waren es Unternehmen wie CitiGroup, Exxon oder, noch früher, General Electric und IBM. Heute sind es die FAAMGs (Facebook, Apple, Amazon, Microsoft, Google) und ihre Verwandten. Der IT-und Kommunikationssektor ist im S&P 500 aktuell mit über 35% gewichtet, die fünf größten Unternehmen, die FAAMGs, alleine haben eine Gewichtung von etwa 20%. Und genau diesen Unternehmen schadete die aktuelle Krise nicht. Im Gegenteil.

Microsoft, das aktuell wertvollste Unternehmen, hat ein Gewicht von 6% im S&P 500 und ist seit Jahresbeginn um 15% gestiegen. Amazon, das drittwertvollste Unternehmen, hat ein Gewicht von 4% und ist sogar um über 25% gestiegen. Der gesamte Energiesektor, also alle Chevrons, Exxons, etc. gemeinsam, kommen auf eine Gewichtung von 3%. Sie müssten alle um 70% an Wert verlieren, damit der S&P 500 ins Minus rutscht. Beim Finanzsektor (mit einem Gewicht von 10% im S&P 500) müssten alle JP Morgans, Bank of Americas, Citigroups sowie Prudentials, MetLifes und AIGs gemeinsam immerhin noch 20% an Wert einbüßen, damit der Index ins Minus rutscht.

Unser Glück ist offensichtlich, dass wir keine Finanzkrise erleben, zu einer Zeit, in der die Finanzindustrie unser wichtigster Sektor ist. Auch keine Energiekrise, wenn gerade der Energiesektor der wichtigste ist. In der aktuellen Krise sind die Produkte und Dienstleistungen jener Sektoren besonders gefragt, die in den vergangenen Jahren zu den wichtigsten unserer Wirtschaft gewachsen sind. Noch dazu zu den mit Abstand wichtigsten Sektoren: Es ist in der Vergangenheit selten so gewesen, dass die fünf größten Unternehmen gemeinsam 20% der Indexgewichtung ausmachen. Alle fünf gehören zum IT-Sektor, der insgesamt mit 26% im Index gewichtet ist. Gefolgt von Gesundheitswesen (15%) und Kommunikationsservices (11%). erst an dritter Stelle kommt der aktuell schwache  Finanzsektor, mit einer Gewichtung von etwa 10,5%.

Bleibt immer noch die Frage: Auch wenn wir in dieser Krise genau die Unternehmen brauchen, die aktuell die wertvollsten sind: wenn niemand das Geld hat, um die Leistungen dieser Unternehmen zu kaufen, müssen wohl auch diese Unternehmen (bald) ein Problem bekommen. Die Antwort kommt von den Regierungen, die mit Unterstützungen für Unternehmen und Haushalte nicht kleckern. Und von den Notenbanken, die labile Hoffnungen (Kredite) in stabile Fakten (Geld) verwandeln, als gäbe es kein Morgen. Und die Antwort kam schnell.

Die Reaktionen der Regierungen und Notenbanken

Darüber, ob der Lock-Down der Situation angemessen war, kann man streiten. Mit der Entscheidung für einen Lock-Down ist der Rubickon jedenfalls überschritten („Rubikon“, wie ist mir der jetzt eingefallen?). Wirtschaftliche Unterstützung wird von der Politik ab nun jedenfalls gut geheissen, wenn nicht sogar gefordert. Wenn eine Regierung durch ihre Entscheidung die Wirtschaft in die Knie zwingt, so hat sie jedes Recht – wenn nicht sogar die Verpflichtung – alles zu unternehmen, um die Auswirkungen zu mildern. Koste es, was es wolle. Kurzfristig, möglicherweise auch langfristig, hilft es (börsennotierten) Unternehmen.

Notenbanken werden sich der Diktion schwer widersetzen können. Welche Folgen das haben wird, insbesondere, als sich Staatshaushalte und Kreditwirtschaft seit der Finanzkriese 2008 noch nicht einmal ansatzweise normalisiert haben, ist ein anderes Thema. Klar ist, dass die Volkswirtschaften mit Geld überschwemmt werden. Geld, das Unternehmen sowohl direkt hilft, indem ihre Liquiditätsengpässe überbrückt werden. Als auch indirekt, indem die Kaufkraft der Privathaushalte mehr oder weniger erhalten bleibt.

Durch diese Geldschwemme sinkt der Preis für Geld, also das Zinsniveau. Negativzinsen, die man bis vor einigen Jahren nur der kleinen Schweiz zutraute, sind keine Ausnahme mehr. Sogar die britische Notenbank denkt sie mittlerweile an – BOE Examining Negative Rates, Haldane Tells Telegraph – und die USA dürften nicht weit davon entfernt sein. Abgesehen davon, dass geringere Zinsen die Schuldenlast von Unternehmen verringern: Anleger werden sich mit noch geringeren Renditen an den Aktienmärkten begnügen, also die Bewertungen der Unternehmen erhöhen. Beides treibt Aktienkurse nordwärts.

Hinzu kommt ein weiterer Nebeneffekt in Form von Inflationsängsten. Sollte diese Geldschwemme außer Kontrolle geraten, so bleiben als letzte Rettung nur noch Sachwerte wie beispielsweise Immobilien (mit dem Nachteil, auf den der Begriff selbst hinweist), Gold (Geschmacksache, aber wer weiß? Vielleicht auch schon Kryptowährungen? Einer der legendärsten Investoren hat kürzlich seine Engagement in Bitcoins verkündet) und (börsennotierte) Unternehmen. In diesem Fall vornehmlich solche, die eine gewisse Preismacht besitzen. Dabei geht es weniger um Renditen (sprich: Unternehmensbewertungen), als vielmehr um das schlichte Erhalten von Vermögen. Bargeld und Schuldentitel (aller Art, auch jene, die von Staaten ausgegeben werden) helfen in solchen Situationen jedenfalls wenig.

Niemand kann sagen, ob die Situation außer Kontrolle geraten wird. Klar dürfte sein, dass dies, sollte es passieren, nicht in naher Zukunft der Fall sein wird. Die Chancen stehen längerfristig aber bedrückend gut. Vor allem wegen dem oben angeführten, allgemein akzeptierten, „Koste es, was es wolle“. Die Aussage ist nicht neu (Mario Draghi am 26. Juli 2012), aber damals gab es viele und heftige Gegenstimmen. Das ist heute nicht der Fall.

Einen Eindruck der aktuellen Situation – und wir sind erst am Anfang – gewinnt man, wenn man sich die Zahlen veranschaulicht. Hier am Beispiel der USA, weil sie noch immer die wichtigste Volkswirtschaft sind, und weil die Daten so gut zugänglich sind.


Von allen Schulden in den USA, Hypotheken, Auto-, Studenten- oder Unternehmenskredite und was es sonst noch gibt (in USD ca. 75,5 Billionen), hält die FED jetzt, zu Beginn der Maßnahmen, fast 10%.

Setzt man die Geldschwemme in Verhältnis zu der jährlichen Wirtschaftsleistung (GDP) der USA, ändert sich auch nicht viel an der Grafik. Was unter anderem das Ausmaß des Eingriffs in das Wirtschaftsgeschehen verdeutlicht. Zu sehen ist auch, dass die Notenbank ab 2003 eine Geldmenge in die Wirtschaft gepumpt hat, die 30% der aktuellen Wirtschaftsleistung entspricht (ca. 5% waren schon zu Beginn 2003 da).

Geld ist also viel da, und es wird in den kommenden Monaten noch mehr werden. Ein Teil wird in den Aktienmarkt fließen, bzw. die Aktienkurse (unter-)stützen.

Einfach ausgedrückt: Wenn plötzlich mehr Geld da ist, dann ist das Geld weniger wert. Man muss dann für das selbe Wirtschaftsgut, z.B. eine Aktie, mehr davon ausgeben.

Wahljahr in den USA

Seit 1928 gab es in den USA 23 Wahljahre. Nur 4 davon endeten mit Verlusten. Das sind ~17% im Vergleich zu den ~34% (32 von 93), die es über alle Jahre seit 1928 gegeben hat. Ein Zusammenhang ist damit nicht bewiesen, aber eine Vermutung zumindest weniger abwegig. Kapitalmärkte spielen in den USA eine wichtige Rolle, insbesondere im Leben der Mittelscht und aufwärts, die wiederum den Großteil der Wählerschaft stellen. Ganz im Sinne von „was zählt, ist das Ergebnis“ wird die Entwicklung an den Kapitalmärkten einen gewissen Einfluss auf das Wahlverhalten haben.

Präsidenten besitzen sowohl direkte (einige sogar mit Spitznamen), als auch indirekte Möglichkeiten, um Kapitalmärkte zu beeinflussen. Was nicht bedeutet, dass sie eine, wenn auch kurzfristige, Allmacht besitzen. Tendenzen unterstützen bzw. vermindern, bzw. Spitzen ausgleichen wird aber, zumindest kurzfristig, möglich sein. Man darf davon ausgehen, dass sie diese Möglichkeiten, je nach Skrupel, mehr oder weniger einsetzten. Persönlich glaube ich – man möge mir meine Vorurteile verzeihen – dass solche Skrupel beim amtierenden Präsidenten vollkommen fehlen. Ganz abgesehen von seinen persönlichen Interessen und den Versprechen, die er vermutlich bei seinen Unterstützern einzulösen hat.

Also hinein in die Aktienmärkte? Langfristig: wie immer, ja unbedingt. Kurzfristig: je nachdem.

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