Zum Inhalt

Die Geschichte von Linda und Leon

Großartiger Anlageerfolg erfordert weder großes Vermögen, noch besondere Experten.
Er erfordert vor allem Zeit.

In dieser Geschichte geht es um die Zwillingsgeschwister Linda und Leon. Linda, die Schwester, ist die zurückhaltende, vorausschauende und ein bisschen besonnenere. Ihr Bruder Leon ist ungestümer, lässt keine Gelegenheit aus, um aus dem Vollen zu schöpfen, und ist überzeugt, dass er sein Leben mehr genießt, als seine Schwester.

Mit 25 schließen beide ihre Ausbildung ab und finden auch gleich ihre erste Arbeitsstelle. Leon schöpft, wie immer, aus dem Vollen. Findet gleich eine größere Wohnung, kauft sich alles, was er sich schon lange gewünscht hatte und macht mit seinen Freunden, seinem Ruf gerecht werdend, die Stadt unsicher. Linda bleibt bis zu ihrer ersten Gehaltserhöhung in ihrer Studentenwohnung, leistet sich nicht viel mehr als zuvor, genießt aber mit ihren Freunden ausgedehnte Wochenendausflüge und interessante Urlaubsreisen.

Linda kann so jeden Monat 250 Euro auf die Seite legen, die sie breit und günstig am Aktienmarkt investiert. Leon hat auch vor vernünftig zu sein und Geld zu sparen. Aber erst dann, wenn er ausreichend verdient.

Nach 10 Jahren ist es dann so weit. Leon hat genug vom ständigen Geldstress. Nie ist genug auf dem Konto und oft reicht es gerade noch aus, um die Überziehungszinsen zu bezahlen. Den Rest gab ihm ein Blick auf den Depotauszug seiner Schwester.

Die insgesamt 30.000 Euro, die Linda in den vergangenen 10 Jahren auf die Seite gelegt hatte, haben sich mithilfe der Aktienerträge um 25% erhöht. Ihr Vermögen beträgt aktuell 40.000 Euro, und das, obwohl sich die Aktienmärkte nur durchschnittlich, mit +6% pro Jahr, entwickelt hatten. Leon beschließt also, auch monatlich 250 Euro zu sparen und, wie seine Schwester, am Aktienmarkt anzulegen.

Linda wiederum reichen die 40.000 Euro als Sicherheitsreserve. Sie verdient recht gut, braucht sich wegen ihrer Altersvorsorge keine Sorgen zu machen, und würde sich mit der Reserve, falls nichts dazwischen kommt, irgendwann einen größeren Wunsch erfüllen. Sie spart also nicht weiter, lässt ihre Reserve aber am Aktienmarkt investiert.

Die Reserve könnte zwischenzeitlich natürlich stark an Wert verlieren, sich schlimmstenfalls sogar halbieren, aber Linda nimmt das in Kauf. Einerseits, weil sie – schlimmstenfalls – auch mit der Hälfte leben könnte und ein solcher Wertverlust außerdem – höchstwahrscheinlich –  nur wenige Jahre andauern würde, andererseits, weil sie so nämlich die Chance bewahrt, dass sich ihr Vermögen über die Jahre womöglich sogar verdoppelt könnte.

Leon war die folgenden 10 Jahre seinem Empfinden nach zwar eine Spur zu vernünftig, aber er war auch mit sich zufrieden. Er hatte sein Ziel erreicht, und besuchte seine Schwester, um sich bei ihr sein Lob abzuholen. Das bekam er, sehr überschwänglich sogar, aber es erwartete ihn auch eine neue Überraschung.

Die Aktienmärkte hatten sich auch in den vergangenen 10 Jahren wieder durchschnittlich, mit 6% pro Jahr, entwickelt. Sein Vermögen sollte sich also nicht allzu stark von dem seiner Schwester unterscheiden. Sie hatte ja vor 10 Jahren aufgehört zu sparen. Seine Überraschung war also groß, als er selbst zwar, erwartungsgemäß, etwa 40.000 Euro auf seinem Depot hatte, seine (nervige) Schwester aber nicht ein bisschen mehr, sondern fast das Doppelte, nämlich über 70.000 Euro. Nicht weil sie weiterhin gespart hatte, sondern weil eine Rendite von 6% pro Jahr eben genau dazu führt.

Das konnte Leon natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Ehrgeizig war er ja immer schon. Er beschloss also solange weiter zu sparen, bis er seine Schwester eingeholt haben würde.

Womit er seine dritte Überraschung erleben durfte: Es dauerte nämlich ganze 17 Jahre, bis er dieses Ziel erreicht hatte. Also insgesamt 27 Jahre und 81.000 Euro an gespartem Geld. Im Gegensatz zu seiner Schwester, die damals über nur 10 Jahre hinweg in Summe nur 30.000 zur Seite gelegt hatte.


Beide besaßen nach diesen 37 Jahren ein Vermögen von jeweils 195.000 Euro, Leon musste dafür im Vergleich zu seiner Schwester allerdings fast dreimal länger und dreimal mehr dafür sparen. Linda hat ihre Sparsumme mehr als versechsfacht, Leon seine immerhin mehr als verdoppelt.

Beide schafften das, ohne besondere Ahnung von Aktienmärkten zu haben, und ohne ihr Depot öfter als einmal pro Jahr zu überprüfen. Auch die die Aktienmärkte hatten sich nicht überdurchschnittlich gut entwickelt, was allerdings keine Überraschung ist, denn…

…über lange Zeiträume entwickeln sich die Aktienmärkte immer – zwangsweise – durchschnittlich. Je größer der Zeitraum, desto kleiner die positiven oder negativen Überraschungen. Über 40 Jahre gesehen, war die jährliche Rendite der globalen Aktienmärkte bisher niemals höher als 8% und niemals geringer als 4%.

Über kurze Zeiträume wird die Preisentwicklung der Aktien von Meinungen und Hoffnungen bestimmt, langfristig setzen sich aber immer die Tatsachen durch. In unserem Fall sind die Tatsachen die, dass die Weltwirtschaft um etwa 2% pro Jahr wächst, und Anleger eine Risikoprämie von etwa 4% (in Summe also etwa 6%) dafür erhalten, dass sie dieser Wirtschaft ihr Kapital zur Verfügung stellen.

Werden diese Tatsachen mit Sicherheit auch weiterhin bestehen? Die kommenden Jahrzehnte, oder sogar Jahrhunderte? Natürlich nicht mit Sicherheit. Im Wesentlichen gibt es zwei Entwicklungen, die diese Tatsachen maßgeblich verändern könnten:

  • Es ist möglich, dass unsere Wirtschaft in einigen Jahrzehnten ganz anders funktioniert, oder Aktienmärkte gar nicht mehr existieren. Das ist zwar möglich, aber nicht wirklich wahrscheinlich.
  • Auch möglich, und viel wahrscheinlicher ist, und das ist m.E. die größte Bedrohung der in dieser Geschichte getroffenen Annahmen, dass in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Menschen, oder sogar ganze Staaten, diese Strategie für sich entdecken. Dann würde nämlich die zuvor angeführte Risikoprämie von 4% zwangsweise sinken, und mit ihr die Aktienrendite. Rettung könnte in diesem Fall immerhin noch vom Wirtschaftswachstum kommen. Es könnte von derzeit 2% pro Jahr steigen, und das Sinken der Risikoprämie ausgleichen. Bedenkt man, dass es Wirtschaftswachstum eigentlich erst seit wenigen hundert Jahren überhaupt gibt (die Jahrtausende davor war es praktisch null), so ist diese Möglichkeit durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen.

Beide Möglichkeiten können in naher Zukunft Wirklichkeit werden, aber wahrscheinlich ist es nicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich in den kommenden Jahrzehnten weder unser Wirtschaftssystem grundlegend verändern wird, noch dass die breiten Massen am Aktienmarkt investieren werden. Es bleibt also noch ausreichend Zeit, um diese Gelegenheit wahr zu nehmen. Am besten sofort, denn es dürfte mittlerweile klar geworden sein, dass die wertvollste Waffe jedes Anlegers die Zeit ist.

Weder irgendwelche speziellen Expertisen, Kenntnisse, oder Fähigkeiten, einfach nur Zeit? Wenn das alles ist, wenn das so einfach ist, warum macht das dann nicht jeder? Wenn Sie sich das fragen, dann sind Sie in guter Gesellschaft:

Es war bei einem Treffen mit Warren Buffett, als Jeff Bezos ihn mit der gleichen Skepsis konfrontierte: „Ihre Investitionsthese ist so einfach. Sie sind der zweitreichste Mann der Welt, und sie ist so einfach. Warum kopiert Sie nicht einfach jeder?"
Die Antwort von Buffett: "Weil niemand langsam reich werden will."

Sollten noch Zweifel bestehen, erzähle ich gerne, wie sich die Geschichte weiter entwickelt hat:

Nach dem oben beschriebenem Treffen zwischen Linda und Leon beschloss Leon, weiterhin monatlich 250 Euro in Aktien investieren. Er hatte keine Nachkommen, ausreichend Einkommen und wollte sich erst in einigen Jahren weitere Gedanken machen. Linda veränderte hingegen nichts an ihrem Aktienvermögen. Sie ließ es einfach anwachsen. Linda hatte nämlich auch eine Tochter, Linda II, die verheiratet war, und die schon bald ihre eigene Tochter, Linda III, erwartete.

Eines Abends, die Geschwister waren nun 70 Jahre alt, saßen alle fünf nach dem Abendessen beisammen, als Leon eine Idee kam. Er hatte jetzt über 35 Jahre hinweg insgesamt 105.000 Euro in sein Aktiendepot eingezahlt. Die Aktienmärkte entwickelten sich auch in diesem Zeitraum nur durchschnittlich, also mit 6% p.a., wodurch sein Aktienvermögen auf knapp 350.000 Euro angestiegen war (ein Plus von 330%). Sein Ruhestand war abgesichert, und der Leichtsinn seiner jungen Jahre hatte sich wieder leise bemerkbar gemacht. Er beschloss also, dass er das Geld für gemeinsame Urlaube ausgeben will. Zu fünft, jedes Jahr, solange das Geld ausreichen würde.

Die Begeisterung war bei allen groß, die Urlaubsreisen tatsächlich einzigartig und unvergesslich. Leon hätte sich keine schöneren Erinnerungen für seinen Lebensabend vorstellen können. Linda III würde sogar ihrer Tochter, Linda IV, noch oft von den wunderbaren Erlebnissen von damals erzählen.

Linda hatte andere Pläne. Sie war, wie wir schon wissen, die vorausschauende und ein bisschen besonnenere der beiden. Außerdem hatte sie ja Nachkommen.

Sie beschloss also, ihr Aktienvermögen ihrer Tochter Linda I unter drei Bedingungen zu vermachen:

  1. Sie muss die Zusammensetzung des Depots unbedingt so belassen, wie sie derzeit ist (das Depot bestand von Beginn an aus einem einzigen Indexfond, der den globalen Aktienmarkt nachbildet). Keinesfalls dürfe sie sich eine andere Strategie ausdenken, und schon gar nicht von einem Experten dahingehend beraten lassen.
  2. Sie darf erst dann Teile des Vermögens zu Geld machen, wenn das Vermögen den Wert von 2 Mio. Euro überschritten hat. Ab diesem Zeitpunkt kann sie jedes Jahr maximal 3% des Vermögens zu Geld machen und nach Belieben verwenden (Linda wollte, dass ihre Nachfahren etwas vom Vermögen haben, dass das Vermögen aber gleichzeitig weiter wachsen würde. Es wären dann durchschnittlich nur 3% pro Jahr, statt 6%, aber immerhin)
  3. Sie darf das Vermögen ihren eigenen Nachkommen nur zu den gleichen Bedingungen weitergeben.

Linda I lächelte etwas verlegen. Sie wusste nicht ganz, was sie mit diesem „Geschenk“ anfangen solle. Sie ist bald 40 Jahre alt, und das Vermögen hatte aktuell nur einen Wert von 300.000 Euro. Es würde sie also ohnehin nicht betreffen, warum nicht gleich der Enkeltochter vermachen? Wie auch immer, Linda I nahm das Angebot dankbar an, und genoss noch viele Jahre mit ihrer kleinen Familie, ihrem Onkel (und seinen alljährlichen Reisen) und ihrer Mutter.

Nach etwa 20 Jahren, als sich der Wert des Depots einer Million Euro näherte,  wurde Linda I stutzig. Kann das sein? Sicher, sie kann sich noch gut an die Geschichte mit ihrer Mutter und ihrem Onkel erinnern, bei der ihr Onkel am Ende ziemlich doof dastand. Gut möglich, dass man mit Sparsamkeit, Geduld und über ausreichend Zeit hinweg auf 200.000 Euro kommt. Aber zwei Millionen?

Ihre Überraschung war groß, ähnlich groß wie jene ihres Onkels vor vielen Jahren, als sie noch vor ihrem 70. Geburtstag erleben konnte, dass der Wert des Depots 2 Millionen Euro überstiegen hatte. Es hatte nicht „eine halbe Ewigkeit“ gedauert, sondern weniger als 30 Jahre, bis sie Geld aus dem Depot hätte entnehmen könnte. Und zwar viel Geld. Etwa 60.000 Euro. Jedes Jahr. Und dieser Betrag wird zukünftig immer weiter steigen. In zehn Jahren werden es vermutlich schon 80.000 Euro pro Jahr sein. Ohne besonderen Kenntnissen, ohne besonderen Strategien und ohne erwähnenswertem Zeitaufwand (oder besser: gerade deswegen).

Die gesamte Familie, samt Großeltern und Enkelkindern, könnten jetzt nicht nur für einige Jahre gemeinsam Urlaub machen, sondern jedes Jahr und für immer.

Nur, weil sich ihre Mutter vor nunmehr knapp 80 Jahren entschlossen hatte, die ersten zehn Jahre ihres Berufslebens, monatlich 250 Euro zu sparen und vernünftig anzulegen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Nachkommen von Linda nicht die gesamten Ausschüttungen einfach nur in gemeinsame Urlaubsreisen steckten. Vermutlich verwendeten sie es vor allem dafür, sich Freiheit zu erkaufen. Die Freiheit ihr Geld so zu verdienen, wie sie es wollten. Mit wem, wo und wann sie wollten.

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sie alle paar Jahre einen Großteil der Ausschüttungen für einen guten Zweck spendeten. Im Andenken an die Ursprünge dieses Geschenkes, und an das Erlebnis der Geschwister Linda und Leon vor vielen Jahren.

Zur Erinnerung daran, dass Linda ihnen bewiesen hat, wie man mit kleinen Schritten, gepaart mit Geduld und Ausdauer, gewaltiges schaffen kann. Und an Leon, der sie daran erinnert, dass  jedes Vermögen wertlos ist, wenn es nicht seinen eigentlichen Zweck erfüllt: Menschen Freude zu bereiten.

Wir benutzen Cookies um die Benutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessern. Durch Ihren Besuch stimmen Sie dem zu. mehr Informationen

The cookie settings on this website are set to "allow cookies" to give you the best browsing experience possible. If you continue to use this website without changing your cookie settings or you click "Accept" below then you are consenting to this.

Close