Um es gleich vorweg zu nehmen: WeltSparen bzw. Raisin ist ein geniales Ding – der Erfolg spricht für sich, da kann man überhaupt nichts sagen. Was mich nicht aus dem Staunen kommen lässt ist, dass ein solches Produkt überhaupt so erfolgreich werden kann. Und dass offenbar sehr fähige Gründer sich selbst davon überzeugen konnten, dass es überhaupt Sinn macht, ein solches Angebot in die Welt zu setzten. Aber wie gesagt: der Erfolg spricht für sich. Ich hätte das Pfennigfuchser-Gen der Mitteleuropäer eindeutig unterschätzt und hätte es auch als Investor bestenfalls als Einstiegsprodukt für angrenzende Angebote angesehen.
Kürzlich habe ich mir das – sehr empfehlenswerte – Podcast des Mitgründers und CEO´s Tomaz Georgadze angehört und mir wurde einiges klarer: Ein absolut konsumentenzentriertes Produkt mit einer absolut mitarbeiterkonzentrieren Umsetzung – das einfache Geheimnis zum Erfolg. Wobei Ersteres gar keine so große Hexerei ist. Ideen und Produkte werden heute immer mehr “Commodities” (Massenware), die oft auch leicht zu kopieren sind, wie Georgadze betont. Ausschlaggebend ist schlussendlich das richtige Team in der richtigen Unternehmenskultur. Und diese Herausforderung haben sie dort sichtlich gut im Griff.
Das Podcast unterstreicht die Tatsache, dass die beste Idee oder das beste Produkt geringe Überlebenschancen hat, wenn das Team dahinter nicht passt. Schafft das Super-Produkt trotz mäßigem Team den Durchbruch, so ist das ein großes Glück. Es wird aber auch dann auf schwachen Beinen stehen, da es weiterhin laufend auf Glück angewiesen sein wird. Bis es untergeht oder das große Glück hat, dass sich irgendwann irgendwie doch ein hervorragendes Team zusammenbraut. Andererseits wird ein eher mäßiges Produkt mit einem hervorragenden Team sehr wahrscheinlich erfolgreich, und mit ein bisschen Glück sogar außerordentlich erfolgreich sein.
Eine Notiz dazu: Wie wunderbar ist das eigentlich? Bis vor hundert Jahren noch wurde um Grund und Boden gekämpft. Er war es, der Reichtum und Macht versprach. Danach war Kapital das Wichtigste. Je mehr man hatte, desto mehr konnte man erwirtschaften und dementsprechend Reichtum und Macht erlangen. Heute ist es zunehmend der Mensch, um den “gekämpft” wird. Boden und Kapital bringen heute lediglich rentenähnliche Erträge. Wirklich große Sprünge sind nur mit den richtigen Menschen im richtigen Umfeld zu machen. Was für blendende Aussichten für die Allgemeinheit! Und was für trübe Aussichten für Gewerkschaftsfunktionäre, wenn es vermehrt die Unternehmer selbst sind, die sich die meisten Gedanken um das Wohl der Mitarbeiter machen.
Sollte WeltSparen|Raisin an Wachstumsgrenzen stoßen, werden bestimmt Wege gefunden, um das Geschäft in die richtige Richtung auszubauen. Wie es mit WeltInvest seit 2018 ja auch schon in Angriff genommen wird. In bemerkenswert vernünftiger Weise, auch wenn sich des Fehlen fundierten Wissens und entsprechender Erfahrung bezüglich der Kapitalmärkte an verschiedenen Ecken bemerkbar macht. Grundsätzlich stimmt die Richtung jedenfalls und die vielen Auszeichnungen sind wohlverdient.
WeltSparen|Raisin ist ein vorbildliches Kind unserer Zeit. Bis vor wenigen Jahren, ohne Vereinheitlichung der Kapitalmärkte in Europa, ohne günstiger IT-Infrastruktur, ohne Internet mitsamt Smartphones wäre das nicht möglich. All diese Entwicklungen machen sich solche Angebote in faszinierender Weise zu Nutze, um Konsumenten noch nie erahnte Vorteile zu bringen. Was mich zu meinem großen Fragezeichen bezüglich Raisin, aber vor allem bezüglich (insbesondere) der Deutschen und Österreicher bringt: Ja, Raisin ist ein Super-Ding und es bringt einen nachweislichen Nutzen. Aber worin besteht dieser eigentlich? Ich habe mal nachgerechnet:
Gehen wir von einem typischen Fall aus, bei dem €10.000 als zügig verfügbare – sechsmonatigen Bindung – Barreserve gehalten werden sollen. Aktuell bekommt man dafür in jeder näheren Umgebung in etwa 0,3% pro Jahr, bzw. etwa 0,2% nach Abzug der Steuern.
Bei WeltSparen findet man den besten Anbieter aus ganz Europa. Dass es sich dabei meist um kleine unbekannte Institute handelt ist kein Problem, da auch bei diesen bis zu Einlagen von € 100.000 die Einlagensicherung greift. Problematischer ist die Tatsache, dass es oft Banken im Ausland sind und so der Kundenservice und etwaige Beanstandungen erheblich komplizierter sind. Außerdem muss man sich teilweise selbst um die relevanten steuerlichen Implikationen kümmern.
Also nicht ganz einfach bis ziemlich aufwendig. Ganz abgesehen davon, dass man Zeit schon alleine dafür aufwenden muss, das beste Angebot zu finden, die entsprechende Kontoverbindung zu erstellen, etc. Dafür bekommt man aktuell statt den zuvor genannten 0,3% (0,2% nach Steuern) in etwa 0,7% pro Jahr, bzw. 0,5% nach Steuern. Also ganze 130% (150% nach Steuern) mehr! Bei € 10.000 summiert sich diese Differenz auf stattliche €40, bzw. €30 netto, nach Steuern.
Echt jetzt? Dieser ganze Aufwand um bei einer Anlage von €10.000 um €30 mehr zu erwirtschaften? Und mit diesem Geschäftsmodell lässt sich sogar ein StartUp gründen und erfolgreich aufbauen? Wie kann das sein?
Aber Moment, ich habe nur ein einziges Jahr angesehen. Vielleicht führt die magische Macht der Zinseszinsen (die gibt es tatsächlich!) dazu, dass es über längere Zeiträume doch Sinn ergibt. Nehmen wir also 20 Jahre, schließlich soll eine Barreserve immer zur Verfügung stehen, nicht nur für ein Jahr. € 10.000 über 20 Jahre mit netto 0,5% p.A. (WeltSparen) statt 0,3% p.A.(lokale Bank in der Umgebung) angelegt, ergibt in absoluten Zahlen eine Differenz von knapp €650. Ich muss mich leider wiederholen: Echt jetzt? Bei €10.000 über 20 Jahre hinweg €650? Wegen dieser Differenz so ein Aufwand?
Vielleicht liegt es an der Laufzeit? Was, wenn das Geld statt lediglich für 6 Monate für 10 Jahre gebunden wird? Nee, wieder nichts. Der Unterschied macht netto etwa €880 aus. Also ungefähr €44 pro Jahr. Die einzige Möglichkeit zu erwähnenswerten Beträgen zu kommen besteht darin, den Anlagebetrag zu erhöhen. Bei €100.000 wären das €300 für ein Jahr, bzw. €8.800 bei einer Veranlagung über 20 Jahre. Sicher, €8.800 ist nicht wenig, aber €100.000 sind es auch nicht. Man darf darüber hinaus nicht vergessen: Legt man Geld so an (€100.000 mit zehnjähriger Bindung zu 2%, also netto 1,4% nach Abzug der Steuern), so hat man über 20 Jahre hinweg – bei einer Inflationsrate von 2% pro Jahr – effektiv nicht €32.000 gewonnen, sondern €11.500 verloren! Die €100.000 sind nach 20 Jahren eigentlich nur noch €88.500 wert.
Nun denn, das Ganze macht also bei näherer Betrachtung nicht besonderen Sinn. Dennoch ist das Geschäftsmodell ein gewaltiger Erfolg. Woran liegt das? Meine Vermutung: Die Sparer – insbesondere in DE und AT – sind sich bewusst, dass sie ihr Geld mehr schlecht als recht anlegen. Ihr Pflichtbewusstsein gegenüber ihrem Ersparten reicht gerade so weit, dass sie sich wenigstens den Aufwand antun, um zumindest die beste Variante der schlechtesten Anlagemöglichkeit zu finden. Die Hürde zwischen dieser Anlagemöglichkeit und einer unvergleichbar besseren scheint für sie praktisch unüberwindbar. Ist dieses Bild von “Sparbuch ist vernünftig, Kapitalanlage ist Hasard” wirklich so tief im Bewusstsein eingemeißelt?
WeltSparen selbst bietet mit WeltInvest eine passable und leicht verständliche Alternative an. Dass sie bei ihrem Angebot absurder Weise zwar immer wieder darauf hinweisen müssen, dass Aktienanlagen mit Risiken, im schlimmsten Fall mit Totalverlust, verbunden sind (ein ETF mit 5.000 der größten Unternehmen weltweit ist riskanter als eine Bundesanleihe oder Spareinlage? Hmm…) hilft sicher nicht. Aber ich unterstelle dem Großteil der Sparer, dass sie recht intelligent sind und sich sonst im Leben auch zurecht finden.
Natürlich ist Gehen sicherer als Autofahren und bei Letzterem muss man sich zusätzlich Wissen und Erfahrung aneignen. Niemand würde aber deshalb auf das Autofahren verzichten. Es ist auch sicherer zu Hause zu sitzen, als in der Natur zu wandern. Ist Ersteres deshalb vernünftiger?
Warum also so ein Aufwand für Nichts, wenn mit ähnlichem Aufwand Ergebnisse erreicht werden können, die in absolut jeder Hinsicht eindeutig vorteilhafter sind? Am Beispiel des zuvor angeführten Anlegers: Klar, eine Barreserve, die immer zügig verfügbar sein soll, darf nicht am Kapitalmarkt angelegt werden. Sie wird aber selten viel höher als €10.000 sein. Diese Reserve als Sparguthaben oder Termingeld in Verbindung mit einem konstanten Guthaben auf dem Girokonto bilden einen guten Polster für unerwartete Überraschungen (mit Betonung auf “unerwartet”). Aber, um bei unserem Anleger zu bleiben, bei €100.000 über 20 Jahre?
WeltInvest bietet unter anderem ein Portfolio mit 50% Aktienanteil. Über die letzten 10 Jahre hat es laut der dort bereitgestellten Informationen 83% erwirtschaftet, also durchschnittlich 6,23% pro Jahr. Größter zwischenzeitlicher Verlust (Draw-Down) etwas mehr als 22%, längste Verlustperiode in etwa 2 Jahre. Die Berechnungen dort reichen nur zehn Jahre zurück (beinhalten immerhin die Krise des Jahres 2008), aber man kann getrost davon ausgehen, dass die Berechnungen über 20 Jahre nicht maßgeblich abweichen würden. Man darf davon ausgehen, dass ein Anleger über 20 Jahre 6%p.A. erwirtschaften wird, und dabei zwischenzeitliche Verluste von bis zu -25% sowie Verlustperioden von bis zu 5 Jahren erwarten muss.
Sein Ertrag wäre nach Steuern knapp €130.000 statt den €32.000, die er mit der besten Version der schlechtesten Anlagemöglichkeit erzielt hätte. Bezieht man die Inflation ein (was allseits gerne vernachlässigt wird), so kommt man immerhin noch auf einen Gewinn von €54.500 anstatt des Verlusts von €11.500. Eine Differenz von €67.000.
Leute zerbrechen sich über wenige tausend Euro den Kopf und stecken ihn dann ohnehin in den Sand, um tatsächlich entstandene, unwiderrufliche Verluste besser verdauen zu können. Anstatt sich ein wenig zu informieren und zu bilden um mit ihrem wertvollen Vermögen wirklich sorgsam und vernünftig umzugehen. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus.