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Wie Verlustaversion Erfolg am Kapitalmarkt verhindert

Wir Menschen lieben Gewinne und verabscheuen Verluste. Das führt dazu, dass Menschen regelmäßig Wetten (Risiken) ablehnen, obwohl diese, statistisch gesehen, sinnvoll sind. Daniel Kahneman hat mit seinem Kollegen und guten Freund Amos Tversky in Experimenten1Wie im Bestseller von Daniel Kahneman Schnelles Denken, langsames Denken beschrieben diesbezüglich ein ziemlich genaues Verhältnis herausgefunden: Verluste bereiten Menschen negative Gefühle die etwa zweimal stärker sind, als die positiven Gefühle die ihnen Gewinne bereiten. Oder anders gesagt: Wenn wir zwei Euro gewinnen und einen Euro verlieren, dann fühlen wir uns nicht gut, sondern neutral. Zu diesem Schluss kamen die Wissenschaftler unter anderem durch Wetten mittels Münzwürfen. Es stellte sich heraus, dass Menschen durchschnittlich erst dann bereit sind auf eine solche Wette einzugehen, wenn der potenzielle Gewinn in etwa doppelt so hoch ist, wie der potenzielle Verlust.

Noch interessanter sind die Versuche, die zeigten, dass Menschen risikofreudiger werden, wenn es um die Vermeidung von Verlusten geht. Vor die Wahl gestellt, entweder 25 Euro sicher zu verlieren, oder mit einer 50:50 Wahrscheinlichkeit entweder 10 Euro oder 50 Euro zu verlieren, entscheiden sich die meisten Menschen für die zweite Variante. Obwohl hier der Erwartungswert nicht besser ist, sondern sogar deutlich schlechter, nämlich -30 Euro (-10×50% -50×50% = -30) statt -25 Euro.

Dieses – mathematisch – irrationale Verhalten wird als Verlustaversion bezeichnet und reiht sich in eine Vielzahl anderer sogenannter kognitiver Verzerrungen. Ob das nun wirklich irrational ist, darf man hinterfragen, schließlich sind Verhaltensweisen wie diese dafür verantwortlich, dass wir heute überhaupt noch die Erde bewohnen. Es mag sein, dass dieses Verhalten in unserer heutigen Zeit – mathematisch gesehen – nicht das effizienteste ist, aber was ist schon unsere heutige Zeit und ihre Errungenschaften im Vergleich zu den Jahrtausenden an evolutionären Jahren, die wir erfolgreich überlebt haben?

Hinzu kommt, dass exakte Berechnungen zwar in den Naturwissenschaften hilfreich sind, aber deswegen nicht unbedingt in gleicher Weise auf die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften anwendbar sind. Schließlich handelt es sich hier nicht um Naturgesetze, sondern um denkende Menschen (in
selbst­re­fe­ren­zi­ellen Systemen). Unser Begriff der Rationalität ist von Naturgesetzen geprägt. Anstatt menschliches Verhalten, das diesem Begriff nicht entspricht als irrational zu bezeichnen, könnte es durchaus überlegenswert sein, unseren Begriff der Rationalität entsprechend anzupassen. Ganz abgesehen davon, dass schon alleine die Art der Berechnung auf falschen Grundannahmen beruhen könnte. Menschen, und sogar Wissenschaftler, können Fehler machen, auch wenn (oder gerade weil) Modelle und Berechnungen besonders schön und elegant erscheinen mögen: wenn sie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen sollte man sie vielleicht besonders kritisch betrachten. Oder sogar revidieren2Der Mathematiker Ole Peters ist beispielsweise auf einen konzeptionellen Fehler gestoßen, der sich in den gängigsten Modellen der Wirtschaftswissenschaften niederschlägt. Einen spannenden Einblick bietet sein Vortrag am Gresham College aus dem Jahr 2012 ( Video ).

Menschen gewöhnen sich rasch an ihre jeweilige Situation und sehen diese dann als ihren aktuellen Ausgangspunkt an. Was sie haben, betrachten sie bald als etwas, das ihnen zusteht und das möglichst nicht verloren gehen sollte. Zugewinne sind willkommen und werden angestrebt – darauf beruht unser Fortschritt. Man hat aber weder eine klare Vorstellung davon, wie die Wahrscheinlichkeiten genau stehen, noch, wie viel besser sich der mögliche Zugewinn tatsächlich anfühlen wird. Sehr genau weiß man hingegen, wie man sich jetzt fühlt und vor allem, wie schlecht man sich mit Weniger fühlen wird. Eigentlich ein vernünftiger Zugang und jedenfalls eine über Jahrtausende bewährte Heuristik3Heuristik bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen..

Warum Menschen so handeln und ob dieses Verhalten nun rational ist oder nicht, ist ein faszinierendes Thema, aber wohl nicht entscheidend für das alltägliche Leben. Es genügt sich bewusst zu sein, dass wir Menschen in dieser Weise fühlen/entscheiden, wenn wir in Situationen sind, die potenziell Gewinne und Verluste in Aussicht stellen. Und vor allem, dass wir insbesondere dann auf diese Vorgehensweise zurückgreifen, wenn wir die unterschiedlichen Parameter und Einflussfaktoren, die diese Situation bestimmen, nicht ausreichend durchblicken und/oder beeinflussen können.

Kapitalanlage ist ein Musterbeispiel für eine Situation, die mit Unsicherheit behaftet ist, maßgebliche Gewinne und Verluste mit sich bringen kann und die mehr schlecht als recht zu durchblicken ist. Also prädestiniert dazu, Menschen zu einem Verhalten zu verleiten, das ihnen schon immer das Überleben gesichert hat, für den Erfolg an den Kapitalmärkten aber wenig hilfreich ist.

Beispielsweise, wenn Investoren- der Klassiker – gewinnbringende Anlagen viel zu früh, und verlustbringende Anlagen viel zu spät verkaufen. Das gilt, wohlgemerkt, für professionelle Investoren mindestens genauso, wie für einfache Privatanleger. Gewinne, vor allem wenn sie höher als erwartet ausfallen, bringen Glücksgefühle, die man behalten möchte. Noch höhere Gewinne bringen nicht entsprechend noch mehr Glück und vor allem riskiert man Verluste die sich viel schmerzhafter anfühlen werden, wenn man weiter zuwartet. Verluste, andererseits, werden verabscheut und sollen unbedingt vermieden werden. Sie werden erst dann wirklich unvermeidbar, wenn die entsprechende Anlage tatsächlich verkauft wird. Also wird der Verkauf möglichst verzögert, womöglich – in der schlimmsten Version – dadurch, dass man die damit verbundenen negativen Gefühle mit den positiven Gefühlen von gewinnbringenden Anlagen mildern möchte. Also die Gewinne von profitablen Anlagen konserviert, indem man sie verkauft.

Es sind solche und viele andere ähnliche Verhaltensweisen, die sicherstellen, dass Kapitalmärkte noch für lange Zeit nicht vollkommen effizient, und somit noch lange Zeit hervorragende Ertragschance bieten werden. Eine großartige Möglichkeit diese Erfolgschancen zu nutzen besteht darin, der hier beschriebenen Verhaltensweise zu widerstehen. Privatanleger haben genau darin einen gewaltigen Vorteil gegenüber professionellen Investoren an.

Die effektivste und verlässlichste Methode, nicht solchen Verhaltensweisen zu verfallen, besteht nämlich darin, entsprechende Situationen zu vermeiden4Daniel Kahneman betont diese Erkenntnis immer wieder und fasst sie in einer Aussage zusammen: „Wir wären alle bessere Investoren, wenn wir einfach weniger Entscheidungen treffen würden.“. Im Zusammenhang mit der Verlustaversion bedeutet das, möglichst selten die Entwicklung der eigenen Anlagen, des eigenen Wertpapierportfolios, zu überprüfen. Ein Privatanleger kann das und es ist ihm sehr anzuraten. Für einen professioneller Anleger besteht diese Möglichkeit unter keinen Umständen und so ist er täglich der Versuchung ausgesetzt, seinen natürlichen instinktiven Verhaltensweisen nachzugeben. Man darf zum Glück davon ausgehen, dass er es nicht immer schaffen wird, diesem Drang zu widerstehen.

Nicht nur um Fehlentscheidungen zu vermeiden sollten Anleger möglichst selten auf die Entwicklungen ihrer Anlagen schauen. Die Verlustaversion führt nämlich dazu, dass sich ein Anleger, der seine Anlagen oft, oder sogar täglich, ansieht, konstant schlecht fühlen muss. Egal wie gut sich seine Anlagen entwickeln. Warum das so sein muss, lässt sich beispielsweise mit dem deutschen Aktienmarkt der letzten 30 Jahre verdeutlichen:

Angenommen ein Anleger hat ein Portfolio, das genau den Index der grössten deutschen Aktien verfolgt (DAX30). Hätte er die letzten 30 Jahre die Entwicklung dieses Portfolios täglich verfolgt, so hätte er im Großen und Ganzen abwechselnd an einem Tag Gewinne, und am nächsten Tag Verluste gesehen (7.580 Tage, 53% steigende Kurse, 47% fallende Kurse). Der Median der steigenden Kurse lag bei +0,69%, jener der fallenden Kurse bei -0,71%. Könnte man sein Gefühl in Zahlen ausdrücken, so würde er sich konstant „-0,73%“ (0,69% – 0,71%x2) fühlen. Also schlecht. Dieses schlechte Gefühl bliebe nicht nur bestehen, wenn er seine Anlage wöchentlich, monatlich, quartalsweise oder halbjährlich überprüft hätte, es wäre sogar schlechter: -1,69%, -3,18%, -3,75%, -8,75%. Einzig die Tatsache, dass sich das Verhältnis von steigenden zu sinkenden Werten mit zunehmenden Intervallen verändert (statt 1:1 ist es bei quartalsweiser Beobachtung schon 2:1), würde den Effekt etwas abmildern. Bezieht man dieses veränderte Verhältnis ein, so ergibt sich in etwa ein neutrales Gefühl.

Erst wenn sich ein Anleger sein Portfolio nur einmal pro Jahr ansieht, wird sein Gefühl in Summe neutral bis leicht positiv sein. Er wird innerhalb von zehn Jahren nur drei Mal einen Verlust erlebt haben. Die positiven Jahre werden in etwa bei +28% gelegen haben, während die wenigen negativen Jahre „nur“ um die -16% ausgemacht hätten. Ein großer Nachteil bleibt aber bestehen: er wird im besten Fall einen Jahresgewinn von 67% gesehen haben, während das schlechteste Jahr bei -54% lag. Kein gutes Verhältnis. Insbesondere, wenn das „Gesamtgefühl“ des Anlegers insgesamt nur „neutral“ ist.

Wirklich gut und beruhigt wird sich ein Anleger erst dann fühlen, wenn er sein Portfolio alle drei Jahre ansieht. Er hätte in den letzten 30 Jahren sieben Mal einen Gewinn gesehen, der bei etwa 45% gelegen hätte – im besten Fall waren es +120%. Verluste hätte er drei Mal gesehen und sie hätten etwa -13% betragen – im schlimmsten Fall waren es „nur“ -17%.

Ein Anleger, der die letzten 30 Jahre sein Portfolio mehrmals im Jahr beobachtet hatte, hätte ein anhaltend negatives Gefühl und in seinem Kopf würden Wertbewegungen von +/- 10% herumschwirren. Er hätte diese unbefriedigende Situation vermutlich nicht 30 Jahre durchgestanden und somit den Zuwachs seines Vermögens um 800% nicht erleben können.

Denken Sie daran, wenn Sie das wieder einmal gespannt Börsenkurse aufrufen oder sich von Börsennachrichten bannen lassen: Die Aufgabe von Medienanbietern ist nicht, ihnen zum Anlageerfolg zu verhelfen, sondern selbst Geld zu verdienen. Sie schaffen dies blendend, indem sie einige unserer irrationalen menschlichen Bedürfnisse bedienen und werden dabei bereitwillig von der Finanzindustrie unterstützt. Ihnen als Anleger bringt es aber absolut gar nichts. Ganz im Gegenteil.

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