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Investieren > Spekulieren

»Der Markt hat immer Recht. Wer das nicht akzeptiert, kann nicht gewinnen.«

»Der Markt hat fast immer Unrecht. „Mister Market1Warren Buffett in his Letter to Shareholders, 1987“ ist bipolar.«

»Verlustpositionen muss man möglichst früh liquidieren. Nachkaufen ist der sicherste Weg in den Bankrott«

»Wenn der Wert einer Position sinkt, muss man sich freuen. Dann kann man noch günstiger kaufen!«

»Alles was man wissen muss, steckt in den Kursen.«

»Charttechnik und ähnliche quantitative Methoden sind esoterische Hirngespinste. Nur fundamentale Analysen kann man ernst nehmen.«

Das ist, was man einerseits von sogenannten Spekulanten, andererseits von Investoren hört. Erstere gelten üblicherweise als leichtsinnige Glücksritter, Letztere als vernünftige Geschäftsleute. Was mich lang Zeit verwirrt hat ist, dass zwei Zugänge, die so diametral gegensätzlich sind, trotzdem unglaublich erfolgreich sein können. Was mich noch heute in gewisser Weise amüsiert ist, dass die Allgemeinheit diesen leichtsinnigen Glücksrittern so abfällig gegenübersteht.

Was mich mit den Jahren immer mehr verwundert ist, dass im Fall der Kapitalmärkte mit Begriffen, sowohl in der Praxis, als auch in der Forschung, unglaublich flapsig umgegangen wird. Spricht weder für die Praxis, noch für die Forschung, die sich damit eines beträchtlichen Teils ihrer Glaubwürdigkeit entledigt. Wie soll man über ein Thema diskutieren, wenn man sich nicht einmal auf die grundlegendsten Begriffe eindeutig geeinigt hat?

In Wikipedia beginnt der Eintrag sehr richtig mit: »Spekulation (lateinisch speculor, „beobachten, spähen, auskundschaften“)…«. Der Rest ist ein Mischmasch an Erklärungen und Einordnungen. In der englischen Version wird zumindest direkt auf das Versagen der Forschung hingewiesen: »The view of what distinguishes investment from speculation and speculation from excessive speculation varies widely among pundits, legislators and academics. Die Antworten von Chat-GPT, Perplexity, etc. sind auch nicht viel erhellender.

Fest stehen dürfte jedenfalls, dass alle Kapitalmarktteilnehmer Spekulanten sind: sie versuchen mit einem analytischen Blick in die Zukunft, Gewinne zu erzielen. Sag nicht nur ich, sondern auch der „Godfather“ aller Investoren, Benjamin Graham: »Thus, many long-term investors, even those who buy and hold for decades, may be classified as speculators, excepting only the rare few who are primarily motivated by income or safety of principal and not eventually selling at a profit2Graham, Benjamin (1973): “The Intelligent Investor”. «

Auch unbestritten dürfte sein, dass Investoren genauso wie auch Händler am Kapitalmarkt aktiv sind, um Gewinne zu erzielen. Der jeweils damit verbundene Zeithorizont hat für eine Abgrenzung keinen definierenden Nutzen, bestenfalls einen beschreibenden.

Feststehen dürfte schließlich auch, dass Marktteilnehmer mit einem kurzen Zeithorizont keine Investoren sind. Der Begriff „Händler“ ist der treffendste, den ich für solche Marktteilnehmer kenne und ich freue mich über jeden treffenderen Begriff.

Hier also meine Abgrenzung:

Investoren orientieren sich an Werten. Sie sind erfolgreich, wenn sie den Wert eines Investitionsobjekts treffender bestimmen können, als ihre Mitbewerber, und diese Fähigkeit gewinnbringend umsetzen können (leichter gesagt, als getan).

Händler orientieren sich an Preisen. Sie sind erfolgreich, wenn sie sich menschlichen Reflexen und Instinkten nicht nur widersetzten, sondern diese sogar gewinnbringend ausnützen können.

Womit auch klar ist, warum Händler in der Regel nicht bewundert und in Krisen schnell als Sündenböcke ausgemacht werden. Investoren erzielen ihre hohen Profite mit Intelligenz, das ist lobenswert. Händler, indem sie menschliche Schwächen ausnützen, das ist niederträchtig 3z.B. Jim Simons’ Renaissance Technologies: Jahr 2000 +98,5%, Jahr 2008 +83,5%, netto, nach 5% Management Fee und 44% Performance Fee.

Sie verkaufen ihre Positionen gewinnbringend an all jene, die nicht glauben wollen, dass es irgendwann ein Ende mit absurd hohen Preisen haben muss, und sie kaufen von all jenen, die überzeugt sind, dass die Welt untergeht. Abgeschwächte Versionen solcher Extremfälle geschehen regelmäßig, und es sind in der Regel Händler, die davon profitieren. Dass dies bei den meisten anderen Marktteilnehmern auf wenig Gegenliebe stößt, ist einerseits verständlich und wurde von J.M. Keynes schon 19364»The General Theory of Employment, Interest and Money«, Chapter 12. The State of Long-Term Expectation treffend bemerkt: »Die weltliche Weisheit lehrt, dass es für den Ruf besser ist, konventionell zu scheitern, als unkonventionell erfolgreich zu sein«.

Andererseits wirkt es sehr wohl auch als gesundes Regulativ und trägt zumindest teilweise zur Abschwächung von Schwankungen bei. Was übrigens für das noch weit mehr verachtete „Short-Selling“ noch stärker gilt.

Zur realen Wirtschaft tragen Investoren jedenfalls genauso viel oder wenig bei, wie Händler. Unternehmen erhalten nur einmal Kapital von Investoren, bei der Emission ihrer Wertpapiere, alles danach läuft (mehr oder weniger) am Unternehmen vorbei 5mit Ausnahme, womöglich, der Führungskräfte, deren Boni von Kursentwicklungen abhängen.

Kurz- bis mittelfristig (auch hier gibt es noch immer keine bindende Definitionen) also sagen wir bis zu einem Zeitraum von etwa 5 Jahren, werden die Kurse hauptsächlich durch Einschätzungen und „Einschätzungen von Einschätzungen6Schönheitwettbewerb (Keynes) “ geformt und von Stimmungen und Reflexen bestimmt. Im täglichen Geschäft zu 100%, über einen Betrachtungszeitraum von ~5 Jahren wohl immer noch zu 50%. Kurse und Werte treffen sich nur selten und können über lange Zeit weit auseinanderklaffen.

Investoren freuen sich, wenn „Mister Market“ in solchen Phasen depressiv ist, weil sie dann ja günstiger einkaufen können. Abgesehen davon interessieren sie sich reichlich wenig für kurzfristige Kursentwicklungen.

Ihre Kompetenz liegt schließlich im gründlichen Analysieren, und so besitzen sie eine fundierte Meinung zum tatsächlichen Wert. Ob ihre Analysen treffend waren, wissen sie nach 10-15, spätestens nach 20 Jahren, wenn sich die jährliche Wachstumsrate ihrer Investition, ungeachtet der zwischenzeitlichen Phantastereien der Märkte, bei etwa 20% einpendelt. Und sich ihr Kapital ver40-facht hat.

Sie kaufen einen Vermögenswert, weil sie fundierte Gründe dafür haben, dass dieser in Zukunft (am besten für immer) eine bestimmte Rendite erbringen wird. Sie verkaufen ihn nur, wenn sie fundierte Gründe dafür entdecken, dass er diese Rendite in Zukunft nicht mehr erbringen wird können.

Bezeichnend für das Portfolio von Investoren ist, dass sich selten mehr als ein, zwei Handvoll Positionen darin befinden. Es sollen ja nur die besten einen Platz bekommen und außerdem kann man mehr nicht ausreichend intensiv verfolgen. Aus diesem Grund muss die Trefferquote weit über 50% liegen, besser in der Nähe von 80%. Auch Investoren spekulieren, sie können sich nie 100% sicher sein und teilen daher ihr Kapital auf mehrere „Einschätzungen“ auf. Der überdurchschnittliche Erfolg beruht in der Regel auf der spektakulären Entwicklung von nur ~10% aller ihrer jemals eingegangenen Positionen.

Händler haben, wenn überhaupt, nur ein rudimentäres Interesse an dem, was sich hinter einem Wertpapier befindet. Sie interessiert das Verhalten der Marktteilnehmer, das sich eben in Kursentwicklungen ausdrückt. Ihr Zeithorizont reicht von wenigen Minuten7High Frequency Trader sind hier bewusst ausgenommen, da sie weder Investoren, noch Händler, sondern unnütze Schmarotzer sind  bis höchstens wenige Wochen 8eine prominente Ausnahme sind z.B. CTAs, die Positionen teilweise sogar über einige Jahre halten. Solange bestimmte Stimmungen oder Reaktionen eben ausreichend stark ausgeprägt sind.

Ihre Kernkompetenz liegt nicht im Analysieren von Unternehmen oder sonstigen fundamentalen Daten, sondern im Risikomanagement (die Analyse von Zeitreihen und anderen quantitativen Größen ist zweitrangig). Ob ihre Handelsstrategie profitabel ist, wissen sie meistens innerhalb von Wochen (sollten sie zumindest), wenn nicht Tagen. Die besten unter ihnen erzielen über Jahrzehnte hinweg jährliche Wachstumsraten von 50% und mehr9z.B. Jim Simons’ Renaissance Technologies von 1988-2022: CAGR >65%. Ein einziges Verlustjahr, 1989.

Ihre Handelsstrategien funktionieren umso verlässlicher, je öfter sie eingesetzt werden. Sie sind daher meist regelbasiert und laufen automatisiert, damit sie laufend an mehreren hundert Märkten gleichzeitig Gewinnmöglichkeiten entdecken können (und der menschliche Faktor verlässlich ausgeschaltet wird). Ihre Trefferquote liegt selten über 50%, eher Richtung 30%, ihre überragenden Gewinne erzielen sie dadurch, dass die Gewinne der profitablen Positionen ausreichend höher sind, als die Verluste der unprofitablen.

Meine weltbewegende Definition/Abgrenzung wird nun wohl wenig bewirken und schon gar nicht die Welt bewegen, aber sie ist nützlich, beispielsweise:

– um sich selbst klar(er) zu werden, was man eigentlich tut, bzw. was man eigentlich will

– um bei seinem Gegenüber (oder in der Fondsbeschreibung) zu erkennen, ob es (sie) weiß, wovon es (sie) spricht. Und dabei womöglich zu erkennen, warum sich noch niemand sonderlich für eindeutige Definitionen/Abgrenzungen stark gemacht hat.

Man bemerkt dann vielleicht auch, dass für Privatanleger (und die meisten institutionellen Anleger) Investieren im Fokus stehen muss. Allerdings weder in konkrete Unternehmen, Industrien, Länder, Regionen oder sonstiges, sondern in die wirtschaftliche Entwicklung unserer Welt. Möglichst breit gestreut, denn Diversifikation ist für Unwissende, und möglichst günstig.

Und gar nicht spekulieren handeln? Doch, warum nicht? Es ist interessant, belebend, lehrreich und vieles andere mehr. Man sollte es aber beim Namen nennen und sich bewusst sein, was man in den allermeisten Fällen tatsächlich tut: absurd teure Unternehmen kaufen, in der Hoffnung, dass viele andere einen noch absurderen Preis dafür zahlen werden. Das kann gut gehen, auch öfters, aber man ist ziemlich stark auf Glück angewiesen. Auch dagegen spricht nichts, ich mag Menschen, die Glück im Leben haben. Insbesondere jene, die sich ihres Glücks bewusst sind.

Wichtig ist, nur einen kleinen Anteil seines Vermögens dafür einzusetzen. Sehr empfehlenswert ist es, zumindest ein bisschen strukturiert vorzugehen und sich eine „Handelspolitik“ (vorzugsweise schriftlich) zurechtzulegen.

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