»Es ist schwierig einen Menschen dazu zu bringen etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen.«
_Upton Sinclair
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Der Siegeszug von Indexfonds/ETFs ist überwältigend und setzt sich unaufhaltsam fort. Zu Recht, denn nichts hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr zum Anlageerfolg von Privatanlegern beigetragen, als diese neue Anlageform.
Es ist kein magisches Wunderinstrument, es bewahrt Anlegerinnen lediglich vor unterdurchschnittlichen Managementfähigkeiten von Fondsmanagern, sowie vor überhöhten Verwaltungsgebühren der diversen Anbieter. Im Zuge dessen verwandeln sich nun jährlich gewaltige Milliardenbeträge von Profiten der Finanzindustrie, in zusätzliche Renditen der Anleger. Wenig verwunderlich, dass aus der Richtung der etablierten Finanzindustrie die lautesten Warnungen vor diesen neuen Anlageinstrumenten zu hören sind. Oft und gerne als elaborierte Studien und nicht selten in Form von regelrechten Untergangsszenarien.
Ich habe mich vor etwa zehn Jahren das letzte Mal mit solchen Kritiken an, bzw. Warnungen vor Indexfonds/ETFs auseinandergesetzt. Nicht allzu intensiv, zugegeben. Die Argumente, die für diese Instrumente sprechen, sind eindeutig überzeugend, jene die dagegen sprechen bestenfalls niedlich, und entblößen sich meistens schnell als plumpe Propaganda.
Es ist aber auch so, dass ich bei den Ansichten, von denen ich am stärksten überzeugt bin, auch am hellhörigsten bin. Von den stärksten Überzeugungen kommen die schwerwiegendsten Fehler, und ich möchte keine Fehler machen. Schon gar keine schwerwiegenden. Also reagiere ich sensibel auf entsprechende Signale, insbesondere wenn sie aus unerwarteter Richtung kommen.
So geschehen in den letzten Wochen, unter anderem mit dem podcast von Derek Thompson und seinem Gast Michael Cembalest, Chairman of Market and Investment Strategy for J.P. Morgan Asset Management, oder dem FT-Beitrag von Robin Wigglesworth, in dem er Bedenken von David Einhorn beschreibt.
Zu alldem kam zufällig noch eine besorgte Frage eines Freundes, der überhaupt nichts mit Kapitalmärkten am Hut hat: »Sogar ich höre in letzter Zeit aus allen möglichen Richtungen wie toll diese ETFs sind. Könnte das nicht bedeuten, dass da etwas Schlimmes auf uns zu kommt?«
Ich habe mir das die letzten Tage nochmal genauer angesehen und kann versichern: Nein, da ist nichts dran. Alles funktioniert einwandfrei, es gibt keinen Grund zur Annahme, dass durch ETFs oder Indexfonds die Kapitalmärkte gefährdet sind, oder diese Instrumente selbst gefährdet wären.
Glauben Sie mir.
Oder auch nicht, dann lesen Sie hier weiter und überzeugen Sie sich selbst. Zum Beispiel hiermit:

Die sogenannten Mag7, die sieben größten Unternehmen im S&P, haben gemeinsam eine Gewichtung von mehr als 35%. Das ist gewaltig, aber nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Beeindruckender ist, dass mittlerweile drei Unternehmen einen Börsenwert von über drei Billionen USD aufweisen. Noch beeindruckender ist, dass der Wert des Chipherstellers NVIDIA innerhalb von nur 5 Jahren seinen Börsenwert verdreißigfacht(!) hat.
Es sind jedoch nicht die “passiven” Anlegerinnen, die das verursachen, weil sie durch ihr unüberlegtes – weil eben „passives“ – Kaufen der Indexbestandteile die teuersten Unternehmen immer teurer machen. Es sind diese Monsterunternehmen, die mit noch nie dagewesenen Gewinnmargen Monstergewinne erzielen.
Ich habe kürzlich gelesen, dass es 2024 in der gesamten EU knapp drei Milliarden Nächtigungen gab. Würde mir jeder einzelne Nächtigungsbetrieb in der gesamten EU gehören, dann hätte ich 2024 einen Gewinn von etwa 30 Mrd. EUR1bei EUR 100 pro Nächtigung und einer Gewinnmarge von 10% erzielt. Nun, der Jahresgewinn von NVIDIA ist mit etwa 60 Mrd. EUR doppelt so hoch. Ist es dann wirklich so absurd, dass Anleger bereit sind, etwa 3.000 Mrd. für ein solches Unternehmen zu bezahlen (und sich mit einer Rendite von knapp 2%260Mrd./3.000 Mrd. begnügen)?
Abgesehen davon: Wertmäßig werden in den USA nicht einmal 20% der Aktien als ETFs gehalten (Gesamtmarkt ~50Bln USD, ETFs ~10Bln USD), der Rest wird weiterhin „aktiv“ verwaltet. Der Einfluss der „passiven“ Anleger auf die Kursentwicklungen dürfte sich somit noch in Grenzen halten. Bemerkenswert ist die Geschwindigkeit, mit der US Investorinnen klassische „aktive“ Aktienfonds gegen „passive“ eintauschen. Letztere hatten vor 25 Jahren einen Anteil an „fondsverwaltetem“ Vermögen von praktisch null, heute liegt dieser Anteil bei etwa 50%. Zwei Anmerkungen dazu:
- Die allermeisten der sogenannten „aktiven“ Aktienfonds weichen in ihrer Zusammensetzung nur minimal von dem jeweiligen Index ab, den sie als Messlatte, bzw. „Benchmark“, heranziehen. Sie machen seit jeher ohnedies auch das, was „passive“ Fonds machen. Warum sollten Letztere also plötzlich eine Gefahr für die Kapitalmärkte darstellen? Etwa nur, weil sie dafür viel geringere Gebühren verrechnen?
- Auch wenn es für viele Fondsverwalter eine ungünstige Entwicklung ist, für die Anleger ist sie überaus positiv. Sie bedeutet im Grunde, dass Profite von Fondsverwaltern in Renditen für Anlegerinnen umgewandelt werden. Fondsverwalterinnen, die tatsächlich einen Mehrwert erbringen, werden weiterhin am Markt bleiben und zu Recht Gebühren verrechnen. Es gibt eben leider nicht besonders viele von ihnen. Bei den meisten stellt sich früher oder später heraus, dass sie mehr Glück als Können besitzen. Wie SPIVA3»SPIVA® U.S. Focus Mid-Year 2024 Highlights« immer wieder herausstreicht:

Oder anders ausgedrückt, wie folgende Abbildung4»U.S. Persistence Scorecard Year-End 2023«, SPIVA 14.5.2024 zeigt: der Anteil der aktiv verwalteten Aktienfonds, die sich über fünf Jahre unter den Top 50% halten konnten, ist geringer, als es der Zufall voraussagen würde. Soll heißen: wenn solche Fonds überdurchschnittliche Renditen erzielen, dann ist es eher aufgrund von Zufall, als aufgrund von Können.

Wenn Ihnen diese Argumente nicht reichen, dann empfehle ich Robin Wigglesworth, der sich dem Thema verschrieben hat. In seinem Buch »Trillions: How a Band of Wall Street Renegades Invented the Index Fund and Changed Finance Forever« erfahren Sie alles, was man über ETFs wissen kann, in seinen Artikeln in den Financial Times seine Argumente gegen die Gefahr von Indexfonds. Etwa hier, hier, oder hier.
Wenn Sie auch die Gegenseite interessiert, dann ist dieser Artikel5»Why Michael Green Is Known as the Cassandra of Passive Investing«, Institutional Investor, 3.1.2025 ein guter Einstieg um zu sehen, warum Indexfonds/ETFs womöglich doch ein Gefahr für die Kapitalmärkte darstellen. Das durchaus plausible Hauptargument besteht in der Feststellung, dass aktive Börsenteilnehmer erforderlich sind, um Unternehmen angemessen zu bewerten. Wenn diese durch die passiven Anleger verdrängt werden, dann werden teure Unternehmen immer teurer, und Unternehmen die eigentlich teurer sein müssten, werden übersehen. Weil ja niemand mehr da ist, um sie zu entdecken.
Die Entwicklung von NVIDIA über die letzten Jahre widerspricht diesem Hauptargument offenkundig und eindrucksvoll. Es gibt also keinen Grund zur Sorge, und ich denke, dass es einen solchen auch in den kommenden Jahren nicht geben wird. Sollten sich dennoch Gründe zur Sorge abzeichnen, lasse ich verlässlich von mir hören.